ERP-Auswahl

Die Auswahl einer geeigneten ERP-Software stellt für viele Unternehmen eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar. Der internationale ERP-Markt ist ebenso groß wie auch vielfältig. Gleichzeitig wimmelt es online von „Top-10-Listen“ der vermeintlichen besten ERP-Systeme, die auf den ersten Blick eine schnelle Lösung auf eine sehr komplexe Herausforderung versprechen. Um sicherzustellen, dass ein neues ERP-System auch das hält, was es verspricht, muss bei der Auswahl des Systems strategisch vorgegangen werden. Im Folgenden geben wir Ihnen einen Überblick über den Ablauf des ERP-Auswahlprozesses in 7 Schritten.

1. Einrichtung des ERP-Projektes

Die Projekteinrichtung stellt den ersten, wichtigen Schritt eines Softwareprojektes dar. Dazu bedarf es einer vollumfänglichen, soliden Projektmanagement-Strategie. Zu Beginn gilt es, Rahmenbedingungen für das ERP-Projekt abzustecken. So muss definiert werden, wer in das Projekt involviert wird und welche Funktion die jeweilige Person übernehmen wird.

Welche Ziele werden verfolgt?

Auch muss ein Dialog über die Ziele beginnen, die mit der Einführung einer (neuen) ERP-Software erreicht werden sollen. Häufig werden derartige Ziele von der Führungsebene vorgegeben. An dieser Stelle handelt es sich dabei noch nicht um eine konkrete Zielformulierung nach SMART-Prinzip. Vielmehr geht es um die grundlegenden Verbesserungen, die das ERP hervorbringen soll. Beispiele für häufige Ziele einer ERP-Einführung sind die Optimierung bestehender Geschäftsprozesse oder eine verbesserte Informationsverfügbarkeit im Unternehmen.

Budget und zeitlicher Rahmen

Zu den Rahmenfaktoren, die seitens des Projektteams zu Beginn abgesteckt werden müssen, zählen einerseits der zeitliche und andererseits der finanzielle Rahmen. So gilt es, einen konkreten Projekt- und Zeitplan zu definieren. Ebenso der zeitliche wie auch der finanzielle Rahmen sind dabei hoch individuell und hängen maßgeblich mit der Unternehmensgröße und der Komplexität des Systems zusammen. Je größer das Unternehmen, desto kostspieliger und aufwendiger ist häufig auch die Implementierung. Insbesondere der interne Aufwand sollte dabei neben der externen Kosten ebenfalls bei den Kosten berücksichtigt werden.

2. Potenzial- und Bedarfsanalyse

Die Potenzialanalyse verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele.

  1. Schaffung einer Grundlage für die Formulierung von Anforderungen an die ERP-Software und
  2. Identifikation von Optimierungspotenzialen in bestehenden, betrieblichen Prozesse.

Für einen gelungenen Auswahlprozess ist es essenziell, dass konkrete Anforderungen an das neue ERP definiert werden, auf Grundlage derer; in Form eines Lastenheftes; später ein passendes System gesucht werden kann. Ebenso wichtig ist es jedoch, diese Gelegenheit zu nutzen, um bestehende Prozesse zu hinterfragen und, sofern notwendig, noch vor der Einführung des neuen Systems entsprechende Re- und Umstrukturierungsmaßnahmen durchzuführen.

Strukturelle Veränderungen vor der ERP-Einführung

Wichtig ist, dass bestehende Prozesse durch die bloße Einführung eines (neuen) Systems zumeist nicht optimiert, sondern eingefahrene Strukturen lediglich weiter gefestigt werden, da sie nun auch auf Seiten der EDV in einem festen Rahmen verankert sind. Aus diesem Grund sollten Prozesse im Rahmen einer Potenzialanalyse eines akuten ERP-Projektes immer durchleuchtet werden.

Anforderungskatalog erstellen

Im Rahmen der Bedarfsanalyse kann zudem ein Anforderungskatalog erstellt werden, welcher dann an späterer Stelle in das Lastenheft einfließt und durch dieses konkretisiert wird. Er umfasst, wie der Name bereits suggeriert, wesentliche Anforderungen; zumeist auf funktionaler Ebene; an eine ERP-Software. Häufig werden die beiden Begriffe „Anforderungskatalog“ und „Lastenheft“ gleichgesetzt, obgleich sich eine Differenzierung in Bezug auf den Umfang und die Detailliertheit vornehmen lässt.

3. Prozessanalyse

Die Prozessanalyse baut auf die Potenzialanalyse auf und konkretisiert wie. Hierbei geht es darum, aufgedeckte Optimierungspotenziale bis ins Detail zu verfolgen, um Veränderungen auf Prozessebene auch in der Praxis umsetzen zu können. Eine Prozessanalyse sollte dabei auch außerhalb eines akuten Softwareprojektes regelmäßig durchgeführt werden, um sicherzustellen, dass sie den Marktveränderungen, sowie den sich wandelnden gesetzlichen und unternehmensinternen Vorgaben angepasst werden. Die Analyse der Geschäftsprozesse ist ein umfangreiches Vorhaben, welches nur mit ausreichender Expertise in einem angemessenen, verhältnismäßigen Rahmen bewältigt werden kann.

Vorgehensweise bei der IST-Analyse von Prozessen

Betrachtet man Prozesse in bestehenden Legacy-Systemen, so sind diese nicht selten in fragmentierte Teilprozesse aufgeteilt. Ein Blick auf das „große Ganze“ ist so nur schwer möglich. Abhilfe schaffen daher sogenannte Referenzmodelle. Hierbei handelt es sich um konkrete Modelle zur Darstellung von betriebswirtschaftlichen oder technischen Fachinhalten bezüglich der Strukturen und Abläufe. Ein Referenzmodell besitzt einen höheren Abstraktionsgrad als ein vergleichbares, unternehmensspezifisches Modell. Referenzmodelle können daher im Vergleich mit den eigenen IST-Zuständen genutzt werden, um bestehende Prozesse auszuwerten und konkrete Handlungsempfehlungen für die Umsetzung von Optimierungen zu definieren.

4. Erstellung des Lastenheftes

Nachdem der eigenen Betrieb mit all seinen Abläufen unter die Lupe genommen wurde, geht es an die Erstellung des Lastenheftes. Ein Lastenheft umfasst alle Anforderungen in konkretisierter Form, die ein Unternehmen an ein ERP-System hat, um die zuvor definierten Ziele umsetzen zu können. Aus diesem Grund dient es auch als Grundlage für die Einholung von Anbieter-Angeboten.

Lastenheft als Entscheidungsgrundlage für den ERP-Anbieter

Bei der Zusammenstellung des Lastenheftes können Unternehmen auf Vorlagen zurückgreifen. Wichtig ist, dass alle identifizierten SOLL-Prozesse und -Funktionen aufgeführt werden. Auf Grundlage dieser können potenzielle ERP-Anbieter entscheiden, ob sie für ein bestimmtes Projekt als Implementierungspartner geeignet wären.

Lastenheft vs. Pflichtenheft

Auch die Begriffe „Lastenheft“ Und „Pflichtenheft“ werden nicht selten fälschlicherweise in einen Topf geworfen. Im Gegensatz zum Lastenheft wird das Pflichtenheft überwiegend vom ERP-Anbieter und lediglich unterstützend durch das Unternehmen verfasst. Es dient dabei als Arbeits- und nicht als Entscheidungsgrundlage für das Softwareprojekt. Hier geht es darum, wie der Anbieter gedenkt, die zuvor definierten Anforderungen des Lastenheftes umzusetzen. Das Pflichtenheft kann somit als Vertragsgrundlage fungieren.

5. Sondierung des ERP-Marktes

Nach der Erstellung des Lastenheftes geht es jedoch zuerst einmal an die Sondierung des ERP-Marktes. Dieser ist hierzulande ebenso groß wie auch vielfältig. Vorteilhaft ist, dass sich aufgrund der starken Ausdifferenzierung für jedes Nischenunternehmen mit noch so spezifischen Anforderungen ein geeignetes System identifizieren lässt. Andererseits haben Unternehmen an dieser Stelle jedoch auch die Qual der Wahl. Das Lastenheft dabei „einfach“ an die erstbesten 10 Unternehmen zu schicken, die bei einer kurzen Suchmaschinen-Abfrage erscheinen, ist eine wenig vielversprechende Strategie.

Top-10-Listen

Auch sind entsprechende „Top-10-Listen“ mit Vorsicht zu genießen. Einerseits sind diese nicht in der Lage, die individuellen Anforderungen des jeweiligen Unternehmens zu berücksichtigen. Andererseits enthalten sie zudem nicht selten auch bezahlte Werbung von Anbietern. Neutralität und Objektivität sind in diesen Fällen demnach nicht mehr gegeben.

Fallstudien und Referenzen

Ergänzend können auch Fallstudien von Anbietern oder branchenspezifische Referenzen Aufschluss darüber geben, ob ein ERP-Anbieter für die Durchführung des Projektes im eigenen Unternehmen geeignet sein könnte. Grundsätzlich gilt dabei: Je ähnlicher das beschriebene Unternehmen dem eigenen ist, desto anwendbarer wird die erfolgreiche Referenz auf die eigenen Umstände und desto aussagekräftiger ist die Fallstudie für die eigenen Zwecke. Wichtig ist, dass Fallstudien und Referenzen dennoch die erfolgreichen Projektabläufe und Veränderungen in anderen Unternehmen beschreiben, deren Prozesse auch bei gleicher Branche und Unternehmensgröße dennoch von den eigenen abweichen. Fallstudien und Referenzen können daher vornehmlich unterstützend eingesetzt werden.

Vergleichswebsites nutzen

Bei der systematischen Sondierung des ERP-Marktes können Unternehmen stattdessen auf anbieterunabhängige Vergleichswebsites zurückgreifen. Diese ermöglichen es Entscheidungsträgern, den ERP-Markt gezielt nach bestimmten Funktionen und weiteren Anforderungen zu filtern und sich entsprechend geeignete Systeme anzeigen zu lassen, die die zuvor definierten Anforderungen erfüllen. Auch die Inanspruchnahme einer unabhängigen ERP-Beratung kann für Unternehmen in Frage kommen. Wichtig ist hier vor allem die Anbieterunabhängigkeit, um objektiv beraten werden zu können.

6. ERP-Präsentationen von Anbietern

Geeignete Systeme bzw. Anbieter können dann in Form einer Long- und später einer Shortlist zusammengetragen werden. Die Shortlist sollte nur noch wenige Systeme und Anbieter umfassen, die allesamt die im Lastenheft definierten Anforderungen bedienen können. An dieser Stelle sollte ein detaillierter persönlicher Austausch zwischen dem Auftraggeber und potenziellen Anbietern erfolgen. Mögliche Anbieter sollten Unternehmen ihre Lösung im Idealfall in Echtzeit präsentieren, sodass aufkommende Fragen direkt beantwortet werden können.

Testversionen

Viele ERP-Anbieter ermöglichen es Unternehmen zudem, ihre Softwarelösung für einen bestimmten Zeitraum kostenlos zu testen. In der Regel ist dieser Zeitraum auf zwei bis vier Wochen beschränkt, variiert jedoch von Anbieter zu Anbieter. In diesem Zeitfenster haben Unternehmen die Möglichkeit, in der praktischen Nutzung erste Eindrücke zu gewinnen. Testversionen fungieren somit als Hilfestellung in der Entscheidungsfindung.

7. Auswahl der ERP-Software

Schließlich gilt es, auf Grundlage aller zuvor erfassten Informationen eine Entscheidung zu treffen. Unternehmen sollten beachten, da sie mit der Wahl eines ERP-Systems immer zwei Entscheidungstreffen: Eine für ein System, und eine ggf. unabhängige Entscheidung für einen Anbieter. Insbesondere größere Anbieter von Business Software stützen sich zumeist auf ein breites Netzwerk von Vertriebspartnern.

Die Rolle des ERP-Anbieters

Neben Unterschieden in Bezug auf deren Standort haben sich viele Vertriebspartner auch auf die Anforderungen bestimmter Branchen oder Unternehmensgrößen spezialisiert. Die Rolle des ERP-Anbieters im Auswahlprozess ist somit nicht zu unterschätzen. Letzten Endes stellt dieser auch einen im Idealfall langjährigen Geschäftspartner dar, sodass auch zwischenmenschliche Faktoren nicht gänzlich außer Acht gelassen werden sollten.